Freitag
Eine gute Woche Arbeit geht zu Ende. Mit meinem Schützling, dessen Schulbegleitung ich bin, lief alles glatt und harmonisch – was für ein schönes Gefühl. Ich scheine etwas richtig zu machen.
Ich fahre glücklich nach Hause. Auch der Freitag-Mittag-Verkehr, der die kurze Strecke ordentlich ausdehnt, kann an dem guten Gefühl nichts ändern.
Vor dem Haus entdecke ich schon meinen strahlenden Sohn, Bruno, 6, der schon mit seinem neuen Kumpel an der Straßenecke spielt und seine neu gewonnene Freiheit genießt – wir sind vor kurzem vom Land in die Stadt (Städtchen) gezogen, und es kann ihm gerade gar nicht schnell genug gehen, das mit dem alleine-raus, alleine-zur-Schule, alleine-einfach-alles. Ich begrüße ihn, bringe ihm schonend bei, dass er jetzt leider nicht wirklich weiterspielen kann, da ja bald der Papa kommt um ihn zu holen, und wir bis dahin noch ein bisschen quatschen, Tasche packen und Hausaufgaben machen müssen…. gut soweit. Er soll vor dem Haus bleiben, in Rufweite, und dann auch gleich hochkommen.(Schon eine Minute später ist er übrigens nirgends mehr zu sehen).
Ich geh nach oben, entledige mich des unterwegs gepflückten Grasbüschels, um das völlig verzweifelte Pfeifen unserer beider Meerschweinchen zu stoppen, dann die Schuhe, Tasche, Jacke… meine Mam, welche hier die Stellung hält bis ich mittags komme, begrüßt mich, erklärt mir die Topfsituation auf dem Herd und lässt mich allein. Kurz darauf kommt meine Tochter Wanda, 10, berichtet mir von ihrer ganz-gut-gelaufenen Matheprobe, und wir setzen uns zum Essen hin. Dieses ist leider schon recht kalt geworden, also mach ich es nochmal warm – was dazu führt, dass es Beschwerden regnet, weil die Nudeln nun viel zu heiß sind.
Langsam kommt mein gutes ich-mach-was-richtig-Gefühl ins Schwanken.
Beim essen bemerke ich beim blick auf die Uhr, dass es an der Zeit wäre meinen Sohnemann nach oben zu holen, und schreibe der Mama seines Kumpels von nebenan, da die beiden draußen weder zu sehen noch zu hören sind… – nur um zu erfahren, nein, die beiden sind nicht hier. Leichte Panik macht sich breit. Anstatt erstmal Luft zu holen, und wie in diesen tollen Ratgebern bis 10 zu zählen, schlüpfe ich in meine Schlappen und lasse die Nudeln zusammen mit meiner armen Tochter wortlos sitzen. Suche erst zu Fuß, dann auf dem Rad die Nachbarstraßen ab… – hätte ich nur beim zwischendurch Rad und Schuhe holen auf mein dämliches Handy gesehen… ich hätte erfahren, dass sie mittlerweile drüben aufgetaucht waren. So aber suche ich weiter, mit steigender Panik und Wut, und als ich bei der nächsten Runde meinen Sohn sehe, wie er gerade fröhlich und mit ein paar Süßigkeiten beladen aus dem Nachbarhaus kommt, ist nichts normales mehr möglich, und so entlädt sich Panik und Wut ziemlich unsanft über meinem Sohn, welcher heulend nach Hause rennt, oben die Süßigkeiten in den Raum pfeffert und sich dann unter Tränen in sein Zimmer verkriecht, wohin ich ihn verdonnere. Und weil ich gerade auf dem Adrenalin-Höhepunkt bin, verkünde ich noch lautstark, dass ich mein Leben hasse, und ich doch nur einfach mal meine Ruhe will, woraufhin sich auch Wanda still in ihr Zimmer zurückzieht.
Drama perfekt, Nudeln eiskalt, Stimmung und der Beginn des Wochenendes im Eimer. Super gemacht, MAMA, ganz toll. Ganz große Klasse.
Ich geb dem Papa der beiden Bescheid, dass er Bruno bitte etwas später holen soll, da ich gleich ausraste, und wir jetzt erstmal noch was klären müssen… und dann rede ich mit dem „Ausreißer“. Erkläre ihm, dass das so nicht geht, dass ich hier, in dieser neuen Stadtwohnsituation wissen muss, wenn er irgendwo hingeht, und er sich an Abmachungen halten muss. Ich packe seine Sachen, und sehe nebenbei nach Wanda, die mir vom Zimmer nebenan über WhatsApp schreibt, sie mache Hausaufgaben und ich könnte ja mal schauen kommen…..
Irgendwann ist dann der Sturm vorbei. Hausaufgaben fertig, Tasche gepackt, Regeln geklärt, Papa kann abholen kommen. Sohnemann wird ins ersehnte Papa-Wochenende verabschiedet, Wanda und ich haben noch etwas Zeit, bevor ich sie zum neuen Hip Hop-Kurs bringe. Meine freie Stunde verbringe ich damit, zuhause frustriert ein workout abzulegen, aus purem Frust, weil ICH eigentlich auch gern mal so etwas machen würde, irgendwas, mit anderen Menschen, was Spaß macht, was auspowert. Aber nein, ich zuhause vor dem Bildschirm, Töchterlein draußen im Leben.
Später duschen wir uns, und machen uns dann auf den Weg zu McDonalds, ich mit Schuldgefühlen, weil ich eigentlich meinen Bauch nicht erweitern, sondern reduzieren will, aber was tut man nicht alles für seine Kinder (und die Tatsache, keine Arbeit mehr in der Küche verrichten zu müssen).
Mithilfe von all den Kalorien und der Gemütlichkeit des Sofas komme ich dann auch – wenn auch erst etwas stockend und unbeholfen – ganz gut durch unser schon länger anstehendes Vorhaben: Das Aufklärungsgespräch. Gar nicht so einfach, merke ich dann, als ich anfange mich in immer mehr wichtigen Zusammenhängen zu verlieren…. als Wanda dann während meiner Erklärung, was ein Orgasmus ist und wie sich dabei das Sperma aus dem Penis entlädt, sich krümmend vor Lachen vom Sofa rutscht, zweifle ich wieder mal komplett an meiner Fähigkeit, solche Pflichten des MAMA-Daseins auch nur annähernd zu erfüllen. Doch dann kriegen wir das ganze doch noch irgendwie über die Bühne, und Wanda erbittet sich plötzlich grinsend die Erlaubnis, doch mal den Fernseher einzuschalten, denn „na, wir sind doch jetzt fertig“.
Manchmal ist es schwer, hinterherzukommen.
Ich gehe eine rauchen, atme durch, während sie begeistert einer sehr fragwürdigen aber harmlosen Krankenhausserie folgt.
Als das Programm sich um viertel nach acht eher den nicht mehr so harmlosen Beiträgen zuwendet, schicke ich sie ins Bad, was zu endlosem Herauszögern und nervigem Aufdrehen führt, und als sie dann endlich irgendwann in Bett Nr. 2 – nämlich meinem – liegt, sind meine Nerven nu wirklich relativ ausgedünnt. Wanda aber möchte gedreckselt werden. Dreckseln, das ist ihr Wort für ´streicheln´ – sie hat seit längerem die Angewohnheit, alles sprachlich sehr zu verniedlichen, eine niedliche Babysprache (inklusive genäseltem Cartoonfiguren-Ton), was mich in regelmäßigen Abständen in den Wahnsinn treibt. Aber bitte nicht nur die 2,3 Minuten, die ich noch freiwillig rausschüttle, sondern eher länger. Am besten bis sie einschläft.
In meinem Kopf aber tickt eine Uhr, und ab acht ist irgendwie bei mir die Verständnis- und Freundlichkeitszufuhr zu meinem Gehirn gekappt, und ich will nur noch weg – weg von noch mehr klebrig-süßer Babysprache, weg von Rumwurschteln und nicht-still-liegenbleiben, weg von noch mehr Forderungen.
Und so setze ich mich freundlich aber bestimmt durch, sag ihr gute Nacht, und stehe ein paar Minuten später unten im Wohnzimmer, mich fragend, was ich eigentlich für eine Scheißmutter bin, dass ich meinem Kind diesen ersehnten Körperkontakt verwehre, von dem es doch im Alltag eh zu wenig gibt, nur um mich jetzt vor die Glotze zu setzen, wie jeden Abend im Moment, um mir irgendeinen Schrott reinzuziehen, um mein überfordertes Hirn berieseln zu lassen.
Ich bade in Schuldgefühlen. Gehe dennoch nicht nochmal hoch, um ihr den Wunsch doch zu erfüllen, denn „sonst nimmt sie mich ja nie ernst“.
Als sie dann schläft übe ich mich im Zeit totschlagen. Im Schuldgefühle haben und mich unzulänglich fühlen. Im mich selbst bemitleiden. Das kann ich nach solchen Tagen ganz gut.
Samstag
Der Samstag fängt schön an. So schön. Mit Ausschlafen, nicht-geweckt-werden. Kuscheln im Bett, nur wir 2, einfach kuscheln. Dann will Wanda ein Hörspiel, ich mache Kaffee und Kakao. Kakao im Bett, zum Hörspiel, und für mich eine extra lange ungestörte Yogaeinheit. Eine seltene Wohltat. Nach einem Frühstück auf dem Sofa heißt es dann langsam fertig machen – Wanda ist bei einer Freundin eingeladen, über Nacht, 45 Minuten entfernt in der alten Heimat. Sie sträubt sich, will jetzt nicht mehr, es ist zu schön zuhause im Kuschelanzug, das liebt sie. Sie will absagen, hier bleiben. Natürlich sage ich nicht ab, ich kenne das ja schon, ich versuche ihr klarzumachen, wie sie sich fühlen würde wenn immer alle kurz vorher absagen würden, erkläre ihr, dass ich das kenne, man aber ja nicht immer aus jeder Laune heraus alles absagen kann.
Manchmal fühlt sich alles an wie ein Kampf. Jede noch so kleine und normale Situation muss erkämpft werden. Es macht so müde.
Also fahre ich sie dorthin, verspätet natürlich, denn dem einen Drama folgen weitere, Schuhdrama, Jackendrama, das Handy soll mit, ich verbiete es ihr, denn „du brauchst doch da kein Handy um mit deiner Freundin zu spielen“. Ich sitze also gereizt und gestresst am Steuer und versuche die verlorene Zeit aufzuholen, denn sonst steht ja die Freundin am Eingang der alten Schule (es ist dort Tag der offenen Tür, und dort sind sie verabredet) und wartet vergeblich.
Wir kommen an, und keine Freundin weit und breit. Nach 30 Minuten durchs Schulhaus überlasse ich sie ihren anderen alten Freundinnen. Ich muss hier weg. zu viele Erinnerungen, zu viele perfekte Familien, glückliche Paare mit ihren Kindern – etwas, von dem ich mich zu viele Lichtjahre entfernt fühle. Ich, das Alien, nicht mit einem Partner, allein, ich falle auf, zumindest mir fällt es auf. Im Auto melde ich mich bei der Mama ihrer Freundin, die mir versichert „die werden sich schon finden“, sie würde ihr eben noch die Nummer der Tochter schicken, Wanda habe ihr Handy doch sicher dabei. – Nein, hat sie eben nicht – meldet sich eine Stimme in mir – weil ihre bescheuerte Mutter es ihr verboten hat. Ich fühle mich schlecht, wieder mal. Verkehrt, dämlich, nutzlos, falsch.
Ich lasse alle Pläne, die ich für den seltenen Besuch da draußen noch hatte, sausen – der Metzger hat nach der Sucherei nun eh schon zu, und den Stoffladen habe ich innerlich schon abgehakt, da ich eh schon anfange zu heulen. Ich schaffe es gerade noch, mir bei Netto einen Kaffee und 2 Quakbällchen zu holen, roll mir noch eine Zigarette, und dann beginnt die lange, tränenreiche Heimfahrt. Ich heule und heule. Schuldgefühle, Einsamkeit, Verzweiflung, lang Angestautes aus allen Ecken holt mich ein, bricht aus mir heraus.
Was mach ich hier ? Und warum ?
Wieder frisst mich dieses Gefühl auf, dieses gestrandet sein zwischen all meinen Welten, zwischen der geliebten Vergangenheit, der lang vergangenen, und der gerade eben erst durch die Finger geronnenen… der möglichen Zukunft, und jener, die nun nicht mehr möglich ist…
Irgendwo dazwischen, und nirgendwo wirklich zuhause, angekommen.

Und so verbringe ich meinen freien Samstagnachmittag mit ein paar Litern Tränenflüssigkeit, und danke wieder einmal dem Erfinder von WhatsApp, und der Tatsache dass genau jetzt eine Freundin am anderen Ende zuhört, trotz drei kleinen Kindern, von denen denen das jüngste den Geschmack des Katzenfutters austestet, während sie sich um die zwei anderen kranken kümmert….. aber genau jetzt ist sie da, am anderen Ende, hört zu, versteht, und beruhigt. Unbezahlbar. Ohne sie wären es sicher noch ein paar Liter mehr geworden.
Sonntag
Der Sonntag bringt etwas Zuversicht. Ich lese, räume meinen Schreibtisch auf. Und dann nehme ich auf einmal Stift und Zettel, und beginne zu schreiben. An diesem Sonntag tu ich zum ersten Mal etwas sinnvolles gegen diese Lethargie, dieses ewige nichts-tun-und-in-meinen-Gefühlen-versinken….. ich schreibe. Und es tut gut. Ich muss sogar zwischendurch selber lachen.
Mittags gehe ich mit meiner Mam ins Kino. „Mutter“ heißt der Film, und passender geht´s gar nicht. Entgegen meiner Erwartungen heule ich mir nicht noch mehr die Augen aus, sondern finde Bestätigung: in dieser manchmaligen Sinnlosigkeit, dieser Ambivalenz, dieser Ernüchterung des Jobs MAMA. Auch das tut sehr gut.
Zuhause erwarten mich beide Kids. Zurück von Papa und Freundin. Sie scheinen gut gelaunt, wir wollen einen Spaziergang machen. Ich kann mein Glück kaum glauben. Ein harmonischer Spaziergang zu dritt als Wiederaufeinandertreffen….. und schon passiert es. Bruno switcht plötzlich zu seinem alter Ego, schreit und bockt, will nicht, alles doof, wie nur ein Spaziergang und nicht Spielplatz. Ich reiße mich zusammen, ich weiß ja wie er leidet nach seinem Papa-Wochenende, es fällt ihm nicht leicht, dieser Umschwung.
Anstatt ihn zu überreden und selbst dabei nur wütend zu werden, rufe ich irgendwann nur „ok, ciao“ und gehe mit Wanda los. Er folgt uns. Es geht eine Weile gut, doch seine Trauer überwiegt, seine Laune kippt gänzlich, er ist ungehalten, ekelhaft, scheint todesunglücklich mit unserer Gesellschaft. Mein hart erkämpftes Mäuerchen bröckelt, ich schwanke…. – diese Ablehnung (denn so sehe ich das ganze) trifft mich tief. Gegen das tolle Papa-Programm komme ich nicht an. Wie auch.
Zuhause angekommen bin ich dann soweit, ich kann es nicht mehr wegstecken, und verhalte mich wie ein zweites 6jähriges Kind, bin verletzt, wütend, und sage ihm er solle doch den Papa anrufen und ihn bitten, für die letzten eineinhalb Stunden des Tages noch zu ihm zu dürfen, wenn es hier so schrecklich ist. Ich flüchte vor die Tür, mit Bier und Zigarette, durchatmen, raus, nur nicht noch wütender werden, er ist ja erst 6, und er kann ja nichts dafür, ich weiß das ja. Ich weiß es.
Wieder drin kommt er an und entschuldigt sich. Der kleine Mann. Er hat manchmal eine Sozialkompetenz für uns alle 3 zusammen. Ich sage ihm, er muss sich nicht entschuldigen, und nehme ihn in den Arm. Und endlich kommen die Tränen. Und nach einer Weile ausweinen geht es wieder.
Erfolg? Ja. Fühle ich mich gut? Nein. Ich sehe nur meine Fehler. Zu ungeduldig, zu wenig einfühlsam, zu sensibel, verletzlich, cholerisch. Bin selbst wie ein kleines Kind, und spiele die Mutter. Lächerlich bin ich, fühle ich mich. Lächerlich.
Wir essen vor dem Fernseher, sehen uns zu dritt die zertanzten Schuhe an. Schöne friedliche Momente.
Aber schon beim ins Bett bringen komme ich wieder an meine Grenzen. Niemand versteht es so gut, mich mit gemeinsamem Geblödel in den Wahnsinn zu treiben wie meine Kinder. Da halten die zwei zusammen wie Pech und Schwefel. Da sind sie eine Einheit. Wo sie sonst meist an gegenüberliegenden Fronten kämpfen, da nicht. Und sie kriegen mich immer. Ich hab keine Chance. Zwei gegen einen. Und dieser eine war ja eh schon am Boden.
So endet mein Wochenende.
Doch eines ist anders als sonst….ich hab was getan, was mir geholfen hat. Ich habe es aufgeschrieben. Ein Schritt in eine andere, neue Richtung.
Vielleicht ist´s nur für mich.
Aber vielleicht wird es auch irgendwem da draußen das Gefühl geben, nicht allein zu sein mit all dem Chaos, all der Ambivalenz, die das MAMA sein so mit sich bringt….. denn man ist nicht allein. Oh nein. Auch, wenn es sich oft so anfühlt.