Sieb

Wie kann man nur so viel fühlen?

Ich wusste, ich kann viel fühlen. War ja schon immer so. Seit ich denken kann. Ich fühle viel, viel zu viel, alles und noch mehr, gern auch noch verstärkt und in fett gedruckt.

Seit zwei Wochen bin ich nun hier auf Reha, mit Bergblick und straffem Programm, Sport ohne Ende, und dann ab und zu viel zu viel Zeit zum Nachdenken.

Eine Woche hats gedauert, bis die Tränen kamen… und seitdam lassen sie mich nie lange allein.

Also, wie kann man so viel fühlen? Wie geht das ?

Ich dachte immer schon, mir fehlt da diese Schutzmauer, nach außen hin, mir fehlt die Wand, an der die Dinge abprallen, die ins Außen gehören, nicht in mein Innerstes.

Ich bin wie ein Sieb, zu viel geht durch, sickert rein, und bringt noch mehr Chaos, als da ja eh schon ist.

Hier, in diesem endlosen Raum für mich, ohne die Kinder bei mir, all diese Zeit, dieser Raum, diese Stille, da wird das Chaos manchmal so unfassbar laut, bunt und wild – da hilft dann auch keine Atemtechnik von Dr. Lindner mehr.

Es beruhigt sich nicht, das Wasser, die Wellen, wie die Wasseroberfläche bei einer Karpfenfütterung.

Es sprudelt, spritzt, splash, überall, unkontrolliert.

So viel. Viel zu viel.

Ich bin ein durch die Mangel genommenes Bettlaken.

Ein Ball, der hin und her geschleudert wird, gefangen, wieder geschleudert, und ich kann nichts dagegen tun.

Ausgeliefert, dem eigenen inneren Chaos, all dem aufgestauten Schmerz, der Angst, der Trauer, wie bei einem Film, man kann zusehen, aber nicht mitbestimmen, nein.

Nur zusehen. Und fühlen.

Wie kann man nur so viel fühlen.

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